Am Hafen, dem Tonnenhof gegenüber, überragt ein nun bald 150 Jahre altes, stattliches Haus alle Nachbarhäuser. Es ist ein gediegener Bau, der sich einst mit seinen großen Zimmern und seinem geräumigen Keller mit den Patrizierhäusern der großen mittelalterlichen Handelsstädte vergleichen konnte. Dieses Haus, einzig in seiner Art in Tönning, ist Zeuge eines Familienschicksals, das getreulich den Wandel in der Vergangenheit unserer Stadt wiederspiegelt.
Joachim Lexow , ein Rostocker, war auf seinen Fahrten als Seemann um 1800 nach Tönning gekommen. Er gründete hier einen Hausstand und erwarb sich als Reederei- und Seeversicherungsagent in kurzer Zeit ein ansehnliches Vermögen. Als sein altes Haus am Hafen den Flammen zum Opfer fiel, konnte er sich dieses für Tönninger Verhältnisse pompöse Haus bauen.
Als England wenige Jahre später, in seinem Kampf gegen den französischen Diktator Napoleon die Elbe- und Weserhäfen sperren ließ, begann für Tönning eine Zeit wirtschaftlicher Blüte. Die kleine Hafenstadt an der Eidermündung zog nun den gesamten Handel der Nordsee an sich und wurde zum wichtigsten Stapel- und Umladeplatz. Die Ladungen wurden von hier entweder auf Frachtwagen oder mittels Wattfahrt längs der Küste nach Hamburg gebracht und umgekehrt wurden von dort wieder ganze Schiffladungen nach Tönning überführt. Täglich liefen zahlreiche Schiffe der verschiedensten Nationen ein und aus, so dass der 1613 gebaute, sonst so geräumige Hafen nun zu klein und häufig überfüllt war. Diese Entwicklung nutzte Joachim Lexow zu weiteren Unternehmungen aus. Er eröffnete ein Speditions- und Schiffsmaklergeschäft und hatte schließlich 22 eigene Schiffe laufen.
Um diese selbst und vor allen Dingen billiger mit Tauwerk ausrüsten zu können, richtete er eine eigene Reepschlägerei ein. Neben einer Helling legte er hauptsächlich für Reparaturen aber auch für Neubauten in kleinerem Umfang eine Schiffswerft an. Außerdem betrieb er noch einen Kornhandel, der bei dem damals in der Marsch überwiegenden Kornanbau sehr umfangreich und gewinnbringend war. Für sein zahlreiches Personal baute er die in der Fischerstraße noch erhaltenen Baracken. Die Bevölkerung der Stadt hatte sich in den ersten zwei Jahren der Blockade mehr als verdoppelt, so dass große Wohnungsnot herrschte. Auf dem der Hafenausfahrt nahen Robbenberg war eine Barackenkolonie entstanden, die, um gegen Hochwasser geschützt zu sein, auf Pfählen erbaut war und darum „Stelzendorf“ benannt wurde. Hier waren Herbergen für das viele Schiffsvolk eingerichtet worden und auch behelfsmäßige Unterkünfte für die Familien der Schiffszimmerleute und Hafenarbeiter, die in großer Zahl nach Tönning geströmt waren, wo sie lohnende Beschäftigung in hinreichendem Maße fanden.
Der Reeder und Kaufmann Lexow gehörte zu den angesehensten, einsichtigsten und vielseitig in Anspruch genommenen, tätigen Männern Tönnings. Während der Blockadezeit ließ er aus eigenem Antrieb in den Küstengewässern Tonnen zur Sicherheit der Wattenfahrer legen. Die dänische Regierung würdigte seine Verdienste, indem sie ihn zum Sachverständigenmitglied der Quarantäne-Kommission ernannte und ihn mit den Vorarbeiten beauftragte, als sie vor der Eidermündung ein Feuerschiff mit Lotsenfahrzeugen, die die Schiffe, die keine Helgoländer Lotsen an Bord hatten, stromaufwärts führten.
Wohlstand hatte sich in allen Bevölkerungskreisen verbreitet, er zeigte sich ganz besonders auch in der Lebensführung der Familie Lexow. Joachim Lexow ließ sich sein eigenes Theater bauen und unterhielt auch eine eigene Theatergruppe. Als Sommersitz der Familie dienten zwei Marschhöfe. Die Firma Lexow war aber nicht ohne Konkurrenz. Insgesamt befanden sich im Jahre 1805 etwa 30 Schiffsmaklergeschäfte in Tönning. Neben den eingesessenen Unternehmen hatten auch viele fremde Firmen von Ruf hier Zweigniederlassungen gegründet.
Nach Aufhebung der Blockade aber sank mit dem Fortfall der so günstigen Geschäftsmöglichkeiten auch der allgemeine Wohlstand und damit auch der des Hauses Lexow. Im verlassenen Theater wurde eine Ölmühle eingerichtet, die schließlich stillgelegt werden musste. Auch der Reedereibetrieb konnte sich gegenüber der nun wieder geschäftskräftigen Konkurrenz der Hansestadt Hamburg nicht halten. Nach Übernahme der Firma durch den Sohn Carl Magnus Lexow mussten auch die beiden Höfe verkauft werden, um den drohenden Ruin zu verhindern. Das Schiffsmaklergeschäft, das noch weiterhin Gewinn versprach, da Tönning als Umschlaghafen für den damals noch in Betrieb befindlichen Eiderkanal von Bedeutung blieb, wurde erweitert.
Es überstand dann alle weiteren Krisenjahre, bis es nach der Eröffnung des Nord-Ostsee-Kanals, als Tönning als Handelsstadt zur Bedeutungslosigkeit herabsank, so viel Geschäftsmöglichkeiten verlor, dass die Lexows genötigt waren, außerdem noch andere Geschäfte zu übernehmen, so u.a. für verschiedene Länder das Konsulat, von denen das bedeutendste das englische Generalkonsulat war. Ferner führten sie für einige in- und ausländische Gesellschaften die Geschäfte bei Strandungen und Havarien im Gebiet der Westküste.
Der einzige Sohn C.M. Lexow verließ Elternhaus und Vaterstadt und ging in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, nach Amerika, wo er sich in einem Zeitungsunternehmen eine angesehene Stellung erwarb.
Als C.M. Lexow 1871 starb, ging daher das Geschäft auf seine drei Töchter über, deren Vater, der aus Kotzenbüll stammende Rechtsanwalt Ove Becker, als geschäftsführender Bürgermeister der Stadt nach der Besetzung des Landes durch die Preußen und Österreicher eine Rolle spielte, wegen seiner politischen Gesinnung dann aber bald seines Amtes enthoben wurde. Von den drei Brüdern, die nun das Geschäft innehatten, schieden die beiden jüngeren später wieder aus, um in Hamburg und Königsberg eigene Unternehmen zu gründen. Der älteste Bruder führte das Geschäft bis zu seinem Tode 1930 weiter und hinterließ es seiner Tochter Antonie Becker, deren Tüchtigkeit es zu verdanken ist, dass die Firma Lexow-Becker in den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechende Umfang als einziges Geschäft dieser Art an der Westküste erhalten blieb. Erst neuerdings sind Konkurrenzunternehmen in Husum und Friedrichstadt eröffnet worden.
Das herrschaftliche Haus aber am Hafen, ein stummer Zeuge sowohl der glanzvollen Zeit wirtschaftlichen Wohlstands als auch des darauffolgenden Niedergangs, ist den Zeitverhältnissen angepasst worden. Seine großen Räume wurden geteilt und zu Mietwohnungen hergerichtet. Aber es zählt auch heute noch zu den besten Häusern Tönnings.
( aus dem Flensburger Tageblatt 1970 )